VÖ: 21.01.2022
Label: Freia Music
Autor: Kerbinator
Bewertung: 8,5 / 10
Was war das für eine Überraschung für mich, als die Niederländer Timelock eine neue EP („…stay awake“) herausgebracht haben. Ich kannte die Band von der LP „The Dawn“ von 1994 her, zu einer Zeit als ich regelmäßig Progalben via Mailoder bestellte und eben auch dieses Schätzchen von SI Music erstand. Ein starkes Album damals und mit der letztjährigen EP war der nostalgische Spirit sofort wieder da. Timelock haben sich musikalisch kaum verändert. Es gab wohl noch ein paar Alben zwischendurch, diese sind aber an mir vorbeigegangen und somit ist „Sygn Yn“, das neue Werk, das erste richtige Album seit „The Dawn“ für mich.
Immer noch ist es Sänger Ruud Stoker, der die Verbindung zu früher herstellt. Aber auch Keyboarder Julian Driessen, der mit seinen flächigen Keyboard-/Synthiespielereien den Geist des 90er Jahre Neo-Prog beibehält. Nicht selten erinnern Timelock auch heute noch an Bands wie Marillion, Pendragon oder in manchen Momenten auch Saga. Dennoch beginnt das Album mit dem Opener „Moving Landscapes“ für die Band eher ungewöhnlich. Computerklängen folgt eine straighte Hardrock-Phase mit Gitarre und Gesang. Ein eingängiger Refrain, kurze Tempoverschleppung und groovige Rhythmen bilden die Essenz dieser für Timelock eher ungewöhnlichen Nummer. Spacige Keyboard-Samples gibt’s obendrauf. Ein Opener, der die futuristisch wohl konzeptionelle Ausrichtung von „Sygn Yn“ verdeutlicht.
Doch danach geht’s mit „Stay Awake“, von der EP bereits bekannt, in typischer Timelock Manier weiter. Chor am Anfang, Prog-Keyboards und Stakkato-Rhythmen mit hohem Gesang von Ruud bedeuten wunderbare Neoprog-Klänge im Stil der 90er Jahre mit einem Marillion-ähnlichen Keyboardsolo von Julian Driessen. Tolle Melodien mit teils himmlischem Gesang sorgen für wohlige Momente und das fantastische Gitarrensolo von Gitarrist Martin Hendriks schlägt in eine ähnliche Kerbe wie Nick Barrett von Pendragon.
Langsam beginnend und im 4/4 Takt wippend folgt „Everlasting“. Sprechgesang und mystisch warme Klänge verzaubern und der erneut wundervolle, hochmelodische Refrain zeigt absolute Timelock-Klasse. Überdies beeindruckt ein sehr schönes Keyboard-Thema bei dieser über 7-minütigen Nummer. Gar über 9 Minuten lang ist „The Devils Hou“ geworden. Der Song beginnt recht rockig mit Gitarre und Orgel, leicht funkige Momente führen über zum Gesang. Dennoch steuern die immens wuchtigen Keyboardwände das Stück wieder in bekannte Neo-Prog Gefilde. Zwischendurch streuen die Niederländer eine etwas düsterere Stimmung ein, mittels verzerrten Spoken Words, aufgelöst danach durch Chöre und ein weiteres feines Gitarrensolo.
Mit „Heart Of Mine“ kehrt dann erst einmal Ruhe ein. Langsame Gitarrenklänge, der warme Gesang von Ruud und flötenartige Tastenanschläge lassen eine heimelige, zauberhafte Ballade wachsen. Diese wird durch Bläser-Begleitung allerdings im Verlauf etwas flotter und gipfelt in einem Breitwand-Gitarrensolo.
Den Höhepunkt haben sich Timelock bis zum Schluß aufgehoben, mit dem fast 19-minütigen Longtrack „The Great Cover Up Story“. Unterteilt in sechs Parts wird nach mystischem Beginn mit Piano und feinem Gesang in erzählerischer Art und Weise geschwelgt, bis ein wahrer Keyboard-Ausbruch folgt. Eine grandiose Gitarrenmelodie mit symphonischen Backings treibt den Song voran. Plötzlich ertönen Kriegsgeräusche und die Nummer wird um einiges härter und flotter. Nach einem weiteren Break wird’s ein wenig crazy und theatralisch inklusive Applaus. Ein verzerrtes Keyboardsolo trägt zu der etwas verstörenden Stimmung bei. Diese mündet dann allerdings in einen melodischen Part mit Gitarre/Gesang und dazugehörigen Backing-Chören. Nochmals bringen Julian Driessen und Timelock eine massive Keyboard-Wand am Ende.
Es gelingt Timelock, auch über eine solche Länge den Song spannend zu gestalten und den Hörer zu binden. Ein Referenzstück, daß man der Band ohne Wenn und Aber zusprechen kann.
Timelock bestätigen das, was sie mit der EP angedeutet haben. Nach einigermaßen ungewöhnlichem Beginn mit dem Opener, erlebt man feinsten Neo-Prog im Stil der 90er Jahre, der sich dessen Charme bewahrt hat und durch dominante Keyboard/Synhies, aber auch hochmelodische Gitarrenthemen den Geist dieser Zeit in die Gegenwart transportiert. Gipfelnd in einem Mammut-Track, der trotz der Länge durchgehend überzeugt und die Qualität von Timelock, auch im Jahre 2022, bekräftigt. „Sygn Yn“ darf man jedem (Neo)Prog-Fan uneingeschränkt empfehlen.
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