VÖ: 10.06.2022
Label: InsideOut Music
Autor: Kerbinator
Bewertung: 8,5 / 10
Bei den Briten The Tangent weiß man prinzipiell schon was einen erwartet, dann aber auch wieder nicht. Hat man dem äußerst sperrigen Album „Proxy“ von 2018 ein viel homogeneres, um nicht zu sagen eingängigeres Album als Nachfolger („Auto Reconnaissance“, 2020) zur Seite gestellt. Nun erreicht uns mit „Songs From The Hard Shoulder“ das bereits zwölfte Werk der Progger aus UK und geht wieder ein Stück weit zurück in jazzigere, komplexere Musikwelten. Was zum einen ein Fest für technisch Interessierte ist, kann natürlich auf der anderen Seite den ein oder anderen gemäßigteren Hörer überfordern.
Vier Songs befinden sich lediglich auf „Songs From The Hard Shoulder“, davon die ersten drei allesamt über 17 Minuten lang. Schon klar, daß man hier in die Songs eintauchen muß und keine Radiohits erwarten darf. Dabei beginnt das Album mit „The Changes“ mit schönen Melodien und dem allseits entspannten Gesang von Vokalist Andy Tillison. Piano und verklärte Töne, sowie luftige Passagen und erzählerische Momente leiten noch recht eingängig ein, bevor etwaige Keyboard-Soli und jazzige Passagen, sowie teils sessionartig gespielte Gitarren (Luke Machin) mehr und mehr Aufmerksamkeit erfordern. Viele Duette von Piano/Orgel über Piano/Gesang oder Orgel/Keyboards sorgen für typische Progrock Tastenarbeit, die vom Songwriting her aber jederzeit nachvollziehbar bleibt.
Das folgende „The GPS Vultures“ ist gar komplett instrumental gehalten. 17 Minuten ohne jeglichen Gesang, dafür mit mehr Disharmonien, härteren Gitarrenpassagen und jazzigerer Zerrissenheit. Krude Klänge mischen sich unter Orgel/Mellotron Momente, aber trotzdem vergessen The Tangent nicht mittels Akustik-Gitarre und verklärteren Klängen Melodien zu integrieren. So klingt ein verträumter Gitarrenpart zwischendurch tatsächlich ein wenig nach Pink Floyd. Aber auch Gitarren-Frickeleien gehören bei diesem Mammut-Track zum guten Ton.
Mit welch begnadeten Musikern man es bei The Tangent zu tun hat, zeigt auch Song Nummer drei, „The Lady Tied To The Lamp Post“, eindrucksvoll. Über 20 Minuten lang liefern Andy Tillison, Luke Machin, Prog-Alles-Basser Jonas Reingold, Drummer Steve Roberts, sowie Saxophonist und Flötist Theo Travis ein Mischung aus ruhigen Passagen inklusive Flüstergesang, Midtempo Prog mit viel Keyboard-Last, sowie aufgeregtere, härtere Passagen, die auch ins Jazzige abdriften können. Elegien bis hin zum Spoken Word Ende setzen weitere Duftmarken über den eindrucksvollen Prog Rock, den die Briten im Stande sind zu spielen.
Der letzte Song, „Wasted Soul“ ist dann mit knapp 4 ½ Minuten der kürzeste und auch der eingängigste. Langsamer Beginn und straighterer Gesang im Mowtown Stil, verknüpft mit Bläsereinsätzen im Background plus Orgel-Solo verwöhnen den Hörer zum Schluß mit mehr Harmonien als Ausgleich für den fordernden Anspruch der zuvor präsentierten Longtracks.
Dem nicht genug, beinhalten diverse Editions des Albums (Frühausgaben und Vinyl) noch einen Bonustrack der Prog-Legende UK. „In The Dead Of Night“ ist dann auch noch einmal über 16 Minuten lang und passt stilistisch hervorragend zum eigentlichen Album. Auch hier spielen Orgel, Keyboards und Synthie-Passagen eine tragende Rolle bis hin zum etwas schräg wirkenden Gitarrensolo.
The Tangent zeigen mit „Songs From The Hard Shoulder“ erneut eindrucksvoll ihre Ausnahmestellung im Progressive Rock und im Fahrwasser von Bands wie The Flower Kings, Van der Graaf Generator oder It Bites. Den Prog-Gourmet kann’s nur freuen und auch jeder musikalisch technisch interessierte Mensch schnalzt mit der Zunge ob der teils sperrigen Prog-Epen der Briten.
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