Autor: Kerbinator
Bewertung: 7,5 / 10
Es ist mitunter nicht leicht, ein Album von The Tangent am Stück durchzuhören. Das ändert sich auch mit dem 10. Studioalbum „Proxy“ nicht. Denn so einfach das Artwork anmutet, so vielschichtig ist die Musik. Die Briten verbraten nach wie vor verschiedenste Stilmittel in ihre komplexen Songs, selten bleibt ein Ton auf dem anderen und man hat immer den Eindruck, wenn sich hier mal jemand verspielt, merkt das keiner. Dabei sind die lediglich fünf Song in höchstem Maße ambitioniert. Gleich zwei Song sind über 16 Minuten lang, ein durchgängiges Konzept besitzt „Proxy“ aber nicht.
Was Sänger und Komponist Andy Tillison hier wieder vom Stapel lässt, ist musikalische Kunst in Reinkultur, und findet sicher in Musikerkreisen erheblichen Anklang. Der geneigte Nebenbei-Konsument kann gleich die Finger von diesem Album lassen. Der erste Longtrack „Proxy“ eröffnet dann auch das gleichnamige Album. Stark geprägt von 70er Sounds erklingen verschiedenste Tasteninstrumente, angefangen beim Mellotron über die gemeine Piano/Orgel bis hin zu Synthies. Alles wirkt melodisch ohne wirkliche Harmonien, der Gesang ist lediglich Rahmenprogramm und eher unauffällig.
Einflüsse von ELP, Camel und den Beatles kommen ebenso zum Tragen, wie im Verlauf des Albums Neoprog-Einschübe und modernere Klänge. Manches erinnert an Jazz, manches an Weltmusik. Was momentan die Gehörgänge erreicht, ist im nächsten Moment schon wieder verschwunden und andere Klänge müssen verarbeitet werden. Fordernder Stoff, den The Tangent dem Hörer anbieten.
Das als mediterranes, sonnendurchflutetes Fusion-Instrumental angekündigte „The Melting Andalusian Skies“ verknotet einem genauso die Ohren, wie der Opener auch, bleibt also prinzipiell der Linie treu. Manchmal hat man den Eindruck, jeder spielt für sich, bevor sich das Ende als Einheit präsentiert. Auch „A Case Of Misplaced Optimism“ ändert nicht viel, wird von der Band als die fehlende Verbindung zwischen Porcupine Tree und Jamiroquai bezeichnet. Nun ja, kann sich jeder selbst ein Bild davon machen, Fakt ist jedoch, daß Saiteninstrumente im Verlauf eine immer gewichtigere Rolle einnehmen.
Der zweite Longtrack „The Adulthood Lie“ läutet hingegen eine kleine Wende hin zu neoprog-lastigeren Klängen ein . Die Gesanglinien und Melodien werden eingängiger, es regieren mehr Synthie-Teppiche als schwurbelige Mellotron/Orgel-Orgien. Und beim Abschluß „Supper's Off“ (Genesis irgendwer ?) behält man dies auch bei. Das zehnminütige Ende des Albums beinhaltet zudem erzählerische Vocals, die von Festivals, 60er/70er Jahre Szenerien berichten und in meinen Ohren irgendwie witzig wirken.
Kein einfaches Album also, was The Tangent uns mit „Proxy“ hier vorsetzen. Wenn man sich durch die ersten drei übermaßen fordenden Songs kämpft, wird man mit zwei eingängigeren, wärmeren Tracks belohnt und man kann sich seine eigenen Gedanken wieder zurechtrücken. Für mich stellt sich die Frage, wann soll man sich dieses Album auflegen ? Klar, wenn man (Prog) Musiker ist, als Anschauungsunterricht, oder wenn man es vertrackt, verkopft, verzwirbelt mag jederzeit. Sich das Album einfach aufzulegen und Musik zu hören, dafür taugt „Proxy“ nicht. Dennoch natürlich musikalisch große Kunst und für The Tangent Fans unverzichtbar.
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