Autor: Kerbinator
Bewertung: 8 / 10
Ich hab jetzt noch Knoten in den Ohren vom letzten Album „Proxy“ der Briten The Tangent von vor zwei Jahren. Unheimlich komplex, zerfahren und mitunter disharmonisch war das zehnte Album der Band gestaltet und mehr für Technik-Freaks denn einfacher Hörerschaft geeignet. Jetzt erscheint mit „Auto Reconnaissance“ das elfte Studioalbum. Ein Grund schon mal den Knotenlöser griffbereit zu halten ?
Nein, denn mit „Auto Reconnaissance“ gehen die Jungs um Mainman Andy Tillison anders an die Sache heran und liefern ein Werk ab, das leisere, ausgeglichenere Wege einschlägt und um einiges eingängiger rüberkommt wie noch zuletzt. Dabei werden aber nach wie vor viel jazzige Elemente, aber auch einige funkig/soulige Momente und viel Erzählerisches in den Prog Rock der Band integriert.
Dem überraschend eingängigen Opener „Life On Hold“, dem man fast schon Hitqualitäten auf The Tangent Art bescheinigen möchte, spendiert die Band bereits diese wiederentdeckte Eingängigkeit, die dennoch mit komplexen Keyboard und Rhythmus-Schwankungen einhergeht. Andy Tillison singt auch auf „Auto Reconnaissance“ behutsam und positiv, ist aber bei The Tangent nicht der stilprägende Punkt.
Wenn Andy Tillison denn singt....denn bereits beim 15-minütigen „Jinxed In Jersey“ wandelt sich der Gesang mehr in erzählerische Form. Viel Percussion, bedingt durch Blasinstrumente, allen voran Saxophon und Flöte von Theo Travis, einiges an Jazz light hinzugefügte Parts begleiten mehr die Erzählung der Geschichte. The Tangent erzeugen irgendwie eine Wohlfühlstimmung, auch wenn dieser Longtrack eigentlich mehr oder weniger vor sich hin plätschert.
Nach einem Quasi-Love Song („Under Your Spell“) und „The Tower Of Babel“, welche beide die neue, eingängige Ausrichtung unterstreichen und mit vielen Prog Zitaten aus den 70er Jahre aufwarten, haben sich The Tangent entschlossen, ihre Liebe zur Heimat England in einem 28-minütigen Mammutwerk zu vertonen. „Lie Back & Think Of England“ ist dann dementsprechend auch Programm. Wieder wird mehr erzählt, denn gesungen. Die erste Hälte des Songs bietet weitreichend ruhige Töne in erneut Jazz light Korsett und Weltmusikthemen. Nach zwei harscheren Ausbrüchen ändert sich die Nummer in soundgewaltigeren Prog, auch mit dem ein oder andern Neo-Prog Synthie-Zitat. Es wird flotter und hymnischer, bevor sich zu viel Lethargie einschleicht. Alles in allem ein sehr ambitionierter Song, der trotz seiner absoluten Überlänge viel positives Feedback einheimst.
Mit „The Midas Touch“ schiebt sich erstmals das Gitarrenspiel von Luke Machin in den Vordergrund, das neben den Saxophon Begleitungen die Quintessenz des Stücks ausmacht. Das abschließende „Proxima“ wird mir im Player als Bonus-Song angezeigt, in der Promo-Info aber nicht, so daß ich davon ausgehe, daß dies ein reguläres Albumstück ist. Faktisch handelt es sich dabei um ein atmosphärisches Instrumental von 12 Minuten Länge, daß etwas welträumig rüberkommt und mit soundcollagigen Klangfarben glänzt. Schöner Abschluß.
Mit „Auto Reconnaissance“ beweisen The Tangent erneut, daß man mit jedem Album auf Neues gefasst sein muß. Diesmal ist die Ausrichtung legerer, ausgeglichener trotz drei längerer und ganz langer Stücke. Es wird mehr erzählt und die jazzig gegenläufige Zerstückelung von Melodien und Rhythmen hält sich doch merklich in Grenzen. Es wirkt eher zeitgenössisch in stimmiger Musik noir, ohne aber den Anspruch außen vor zu lassen. Einfach ist auch das neue Album sicherlich nicht zu hören, läuft aber definitiv besser rein als sein Vorgänger. The Tangent sind schon einzigartig in ihrer Art und Weise, Musik zu kreieren. Hut ab !!
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