VÖ: 01.11.2024
Label: Eigenregie
Autor: Kerbinator
Bewertung: 9 / 10
Ein wenig überrascht war ich schon, als mich das neue Album „Nightwatch“ der Aschaffenburger Prog-/Art-Rock Kapelle The Grand Sheep erreichte. Zehn Jahre ist es nämlich her, das das selbstbetitelte Debut rauskam und seither habe zumindest ich nix mehr von den Jungs gehört. Umso überraschender also jetzt die Wiederkehr mit acht neuen Songs plus Intro, eingespielt von der gleichen Mannschaft außer Gitarrist Falk Hofmann, der mittlerweile von Andreas Bookjans ersetzt wurde. Falk allerdings hat bei sechs der Stücke noch das Gitarrenspiel entworfen. Was soll man sagen, The Grand Sheep sind ebenso außergewöhnlich wie genial und setzen mit ihrem fast schon doomigen Progrock eigene Maßstäbe.
Das liegt zum einen sicherlich am extravaganten Gesang von Florian Rickert (auch Keyboards), der immer am Rande des Wahnsinns zu intonieren scheint und somit mit viel Charisma die Kompositionen stimmlich unterlegt. Zum anderen hat man die volle progressive Musikkunst drauf und lässt von komplexen Strukturen über grandiose Melodien bis hin zu düsteren Melancholien erst gar keine Langeweile aufkommen, sondern unterhält mit teils sehr langen Songs abendfüllend. Das kurze Intro zu Beginn mit dem Bandnamen prägenden Schafsgeblöke und leicht verstörenden Klängen ist dazu nur der Auftakt.
Das melodische Gitarrenthema am Anfang von „In Case Of Sanity“ leitet über zu Stakkato Rhythmen und dem markant hohen Gesang. Erinnert dadurch ein wenig an die Briten Grey Lady Down im Verbund mit schleppendem Progmetal. Die generell düstere Ausrichtung des Albums wird deutlich auch wenn schöne Klänge zwischendurch verwöhnen. Verspielt mit Gitarre und Piano geht’s weiter mit „Far From Cure“. Über sieben Minuten mit präsentem Drumspiel (Christoph Bäckmann), gezupften Gitarren und biestig hohem Gesang. Zudem wird kurz ein ruhiges Break eingewoben, das in einen dynamischen Part und vertrackte Rhythmen, aber auch eine wunderschöne Gitarrenpassage mündet.
Düsterer, doomiger wird’s mit dem ebenfalls 7-minüter „Cloud X“, bei dem Florian’s Gesang mit viel Echo hinterlegt und mit verklärten Passagen und teils hysterischen Gesangslinien wieder eine ganz eigene Klanglandschaft erzeugt wird. Der absolute Longtrack mit über elf Minuten erhebt sich danach mit dem Titelsong „Nightwatch“. Sehr sphärischer Beginn mit Keyboardbackings und langsam düsterem Gesang schwelgt zu leicht orientalischen Vibes und schleppend atmosphärischen Momenten. Zerrissene Gitarrentriebe, sowie eine Orgeleinspielung und prägnanter Basslauf (Alexander Röckl) werden zum Ende hin von einer beinahe floydesken, elegischen Gitarrenmelodie gekrönt.
Zunächst verpielt und dann mehr im erzählerischen Stil beleben „Suitable Pills“ die Szenerie. Etwaige symphonische Anleihen sind zu spüren, aber auch unglaublich tolle sphärische Gitarrenklänge. Auch der Gitarren/Keyboard-Auftakt von „Landamar, The Mandrill King“ sorgt für wohlige Momente, bevor rockige Riffs und stampfende Rhythmen übernehmen. Auch bei dieser Nummer ist man aufgrund manch schleppender Passage geneigt von Prog-Doom zu sprechen.
Das über neunminütige „Catatonia“ macht genau da weiter und setzt auf doomige Riffs, langsamen Gesang und wuchtig impulsive Kreationen, die mal von ruhigen Parts, mal von rigoroser Dynamik abgelöst werden. Wummernde Klänge läuten das Ende „Final Day“ ein, bei dem auch mal eine groovig sperrige Brücke das Gitarrengezupfe, den schleichenden Gesang und die orgelgestützte Gitarrenmelodie ergänzt.
Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie sollen verschwimmen, der Hörer in eine Welt aus Visionen und Wahnvorstellungen hineingezogen werden. Und das vertonen The Grand Sheep grandios. Die düster doomige Ausrichtung der Songs ist fernab gewohnten Progrocks eine spannende Angelegenheit, die den Aschaffenburgern fast schon ein Alleinstellungsmerkmal attestiert. Innovativ ist’s allemal, sauber und kompetent in jedem Moment gespielt und mit teils entrücktem Gesang veredelt, der zwar gewöhnungsbedürftig dafür aber auch ziemlich genial charismatisch rüberkommt.
„Nightwatch“ ist Kunst, The Grand Sheep sind Kunst. Warum wir zehn Jahre auf dieses tolle Werk warten mussten, bleibt zu ergründen. Jetzt ist es da und verlangt dringend eure Aufmerksamkeit.
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