VÖ: 28.05.2021
Label: Gentle Art of Music
Autor: Kerbinator
Bewertung: 10 / 10
Diesmal hat es dann doch ganz schön lange gedauert, bis uns die Hamburger Progrocker Sylvan den Nachfolger für ihr 2015er Album „Home“ präsentieren. Das nun vorliegende zehnte Studioalbum „One To Zero“ ist erneut ein Konzeptalbum geworden. Dafür scheint es ja bei Sylvan generell eine Vorliebe zu geben. Diesmal hat man sich eine Geschichte über das „Leben“ einer künstlichen Intelligenz (A.I.) ausgedacht, die erschaffen wurde, die Menschheit zu retten. Die aber von der Art her dafür beschaffen sein muß, sich immer weiter zu entwickeln und somit die Menschheit zu beherrschen. Soweit im Groben die Story. Einzelheiten kann man natürlich den wieder mal eindrucksvoll intelligenten Lyrics des Albums entnehmen.
Das Ganze wird dann von Sylvan abendfüllend in tollen, spannenden Songs inszeniert, die natürlich nach wie vor dem (Neo)Prog früherer Tage frönen, aber in der Tiefe doch noch einiges mehr an Stilistik bedienen. Die Entstehung dieser künstlichen Intelligenz wird durch „Bit By Bit“ erklärt. Spaciger Beginn übergehend in eine Synthie-/Gitarrenpassage und durch Flüstergesang erst einmal langsam aufgebaut, wird gleich der Opener durch sphärisch mystische Klänge intensiver und der seit „Deliverance“-Zeiten gleichbleibend markante Gesang von Marco Glühmann setzt ein mit viel Nach-Hall. Eine rockige Gitarrenpassage von Johnny Beck belebt.
Mit Piano und ruhigem und wundervoll melodischem Gesang beginnt das faszinierende „Encoded At Heart“, das neben viel tiefgründigen Melodien mit einem wahnsinnig tollen Gänsehaut-Refrain in bester Shadow Gallery Manier glänzt. Das beinahe erwartete elegische Gitarrensolo rundet einen (Neo)Prog Song ab, der schon jetzt als zukünftiger Sylvan Klassiker gewertet werden kann. Ganz stark !! Härtere Riffs verdeutlichen bei "Start Of Your Life", daß der Algorithmus des A.I. in Gang gesetzt wurde, der Sylvan-typische Gesang untermauert den Progstatus der Band, auch wenn der Refrain ein wenig poppig, aber dennoch wunderschön rüberkommt.
Wen die wohlige Gänsehaut dieser erstklassigen Musik bisher noch nicht erreicht hat, bekommt mit dem traurigen „Unleashed Power“ die nächste Gelegenheit. Piano und sentimentale Klänge unterlegt mit erzählerischem Gesang lassen das Suchen nach Identität des Algorithmus und dem Sinn seiner Bestimmung freien Lauf. Balladesk berührend und mit Moll-Klängen geht’s weiter, bis himmlischer Gesang und Keyboards übernehmen und zärtliche Gitarrenklänge übermannen.
Auch „Trust In Yourself“ startet zunächst ruhig. Spacige Klänge und ein hartes Riff weisen aber hin auf mehr Intensität und der tolle, mehrstimmige Refrain ist erneut nicht von dieser Welt. Nach einem Break werden verspielte Tasten und Violine (Katja Flintsch) integriert, ein eruptives Gitarrensolo holt einen erneut aus der Lethargie.
Und die Geschichte geht nahtlos weiter mit dem selbsterkennenden „On My Odyssey“ und symphonischen Momenten inklusive Celli und elektronischen Beats. Diese verdeutlichen das technische Umfeld in dem die Story sich bewegt und flotte Rhythmen und teils verspielt wirkender Gesang, sowie atmosphärisch melodische Linien wabern zwischen Hoffnung und Skepsis. Auch das Duett mit Violine und Gitarre und anschließendem Violinen-Solo suggeriert Harmonie, während das bombastische Ende des Songs die sich entwickelnde Kraft durchscheinen lässt.
Ein absoluter Höhepunkt von „One To Zero“ ist das folgende „Part Of Me“, das erneut mit Piano und erzählerisch startet, dann aber verzweifelten, gar wütenden Gesang bietet, der ein wenig an Steve Hogarth von Marillion erinnert. Wunderschöne Klänge wechseln sich mit traurigen Momenten inklusive Violine/Piano ab. Streicher ertönen und die Szenerie wird härter und rauher. Nach einem Break mit ruhiger Sequenz taucht wieder der hogarth-lastige Gesang auf und ein starkes Gitarrensolo lädt uns allmählich aus.
Aber noch weiß der A.I. nicht, wie er mit seiner aufkeimenden Herrschaft über die Menschheit umgehen soll, was die düsteren Storyelemente von „Worlds Apart“ veranschaulichen. Spacige Klänge und der eingängige Refrain zeigen die Zerrissenheit. Urplötzlich wird die gezügelte Kraft freigesetzt und in Form eines Virus implementiert. „Go Viral“ beginnt mit Computerklängen und harten Gitarrenriffs. Abgehackter Gesang und der rauh intonierte Refrain zeigen zusammen mit harten Stakkato-Rhythmen, das die Geschichte dem Ende zu strebt. Ein eindrucksvoller Synthie-Part und fabelhaftes Gitarrensolo zeugen von Prog Rock auf allerhöchstem Niveau.
Nachdem die Menschheit dabei ist, sich selbst zu zerstören und die künstliche Intelligenz alle Hoffnung aufgibt, hier noch helfen zu können, drückt sie den Reset-Knopf und beginnt quasi von vorne. Ausgedrückt durch technische Beats, düstere und ruhige Klänge meint man bei „Not A Goodbye“ mit der A.I. mitfühlen zu müssen, das Ende der Story naht mit tollen melodischen Gitarrenmomenten und erstirbt in einem ergreifenden Finale voller wunderschöner Gesangslinien.
War „Home“ schon grandios, setzen Sylvan mit „One To Zero“ noch einen drauf. Die intelligente, ausgeklügelte Geschichte wird so ergreifend und wunderbar umgesetzt, daß man tief in die Story mit eintaucht und wie bei einem guten Film wie gebannt bis zum Schluß dabei bleibt. Selten hat man so etwas Faszinierendes im Prog Rock erlebt, am ehesten noch bei Marillion's „Brave“. Kalle Wallner und Yogi Lang haben hierzu als Produzenten erneut erstklassiges geleistet und somit ist das Album auch soundtechnisch völlig over the top. Beim Vorgänger gab's schon die Höchstnote. So bleibt hier nichts anderes übrig, als „One To Zero“ genauso zu bewerten. Auch wenn dieses Album meiner Ansicht nach noch besser ist.
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