VÖ: 02.10.1970
Label: Harvest
Autor: David Kerber
Bewertung: 10 / 10
Wenn man an Pink Floyd denkt, fallen einem sofort Alben wie „Dark Side of the Moon“, „The Wall“ oder vielleicht auch noch „Wish you Were Here“ ein. Alle drei fraglos gute Alben. Doch leider vergisst man dabei ein weiteres Juwel der Anfangstage: „Atom Heart Mother“, ein sträflich unterbewertetes Album aus dem Jahre 1970 und streng genommen das erste ohne Syd Barret („More“ gilt als Soundtrack und „Ummagumma“ ist halb live, halb Studio, und damit kein Album im eigentlichen Sinne). Das Cover ziert eine Kuh auf einer saftig grünen Weide, die uns ihr Hinterteil präsentiert aber den Kopf zu uns gewandt hat.
„Atom Heart Mother“ ist ein weiterer früher Versuch Klassik und Rock zu verbinden. So werden Pink Floyd auf dem 23-minütigen(!) Titelsong und Opener von einem großen Orchester begleitet, wobei ich der Meinung bin, dass dieser Versuch weitaus besser gelungen ist, als der der Hardrocker Deep Purple im gleichen Jahr. Ein immer wiederkehrendes Hauptthema, unterbrochen von sogenannten Noise-Recordings und unaufdringlichen Bandpassagen (teilweise klingt das Stück auch avantgardistisch, und ist somit möglicherweise ein Vorreiter des Avant-Garde). Ein unglaublich intensives Hörerlebnis (am besten mit guten Kopfhörern zu genießen) und meiner Meinung nach einer der besten, wenn nicht gar DER beste „Song“ (oder besser Komposition) der Bandgeschichte.
Noch eine kleine Anekdote zur Entstehung des Titels: Ursprünglich sollte der Titel „The Amazing Pudding“ heißen, da sich die Bandmitglieder bei einem Konzert aber nicht sicher waren, wie sie den neuen Song ankündigen sollten, suchte man kurzerhand in einer herumliegenden Zeitung nach einem geeigneten Titel. Bei einem Artikel über eine schwangere Frau, der ein neuartiger Herzschrittmacher mit Atombatterie implantiert werden sollte und deshalb die Überschrift „Atom heart mother“ hatte, wurde man fündig und benannte den Song kurzerhand um.
Und wer jetzt denkt, nach einem solch guten Opener kann der Rest nur noch mittelmäßig oder noch schlechter sein, sieht sich getäuscht. Denn auch die zweite LP-Seite ist qualitativ hochwertig. Angefangen mit dem leicht country-mäßigen „If“ , das mit Bass und Gitarre zunächst spärlich instrumentiert ist. Später kommen dann noch Piano, und mit Jazzbesen gespieltes Schlagzeug (Becken und Snare) hinzu. Roger Waters Gesang ist verträumt bis schwermütig.
„Summer ‘68“ beginnt balladesk und steigert sich dann in einen Beach Boys-artigen Song mit Blasinstrumenten untermalt. Textlich wird der ausschweifende Lebensstil der Bandmitglieder in früheren Jahren angeprangert.
Der letzte Song mit Gesang, „Fat Old Sun“ kommt leicht bluesig daher, mit Floyd-typischem Gitarrenspiel und etwas zu leisem Gesang, was aber bei den frühen Floyd Alben leider häufiger so war, so dass man das Gefühl hatte, den Gesang nur aufzunehmen, weil es damals (und auch heute noch) üblich war. Denn instrumental sind Pink Floyd über jeden Zweifel erhaben.
„Alan’s Psychedelic Breakfast“ kommt, wie der Name schon vermuten lässt, etwas psychedelisch daher. Am Anfang hört man Roadie Alan Stiles, dem der Song gewidmet ist, beim Frühstück, bevor dann die Band mit Orgel, Schlagzeug und Gitarre zu einem kurzen Intermezzo ansetzen, bevor das Frühstück weitergeführt wird. So setzt sich die Komposition über 13 Minuten fort, immer Musik und Küchengeräusche abwechselnd oder auch zusammen. Ein sehr experimenteller Song der Band, aber durchaus gelungen.
Insgesamt ist „Atom Heart Mother“ ein sehr gutes Album, wobei der Titelsong allein schon mehr als 10 Punkte verdient hat. Da aber die restlichen vier Songs nicht das Niveau des Openers erreichen (können) gibt es im Gesamtpaket „nur“ 10 Punkte.
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