VÖ: 25.10.2019
Label: InsideOut Music
Autor: Kerbinator
Bewertung: 8 / 10
Sechstes Album der norwegischen Progger Leprous. Ich muss gestehen, daß ich kein einziges Vorgängeralbum der Band kenne, Sänger Einar Solberg lässt allerdings verlauten, daß man mit „Pitfalls“ Wege beschritten hat, dia man von Leprous so noch nicht kannte und bei der Fanschaft durchaus für Überraschung sorgen könnte. Der Sänger ist es auch, der aus „Pitfalls“ ein sehr persönliches Album gemacht hat. Verarbeitet er doch seine Zeit der Depressionen, die er durchwandern musste, bis hin zu seiner „Heilung“.
Entsprechend emotional ist das neue Album geworden. Dies wird zusätzlich noch durch die Hinzunahme der Gastmusiker Raphael Weinroth-Browne (Cello) und Chris Baum (Violine) verstärkt, die bei mehreren Stücken diesen traurigen, tragischen Grundton unterstützen. Der Gesang von Einar Solberg ist sicherlich ein etwas streitbarer. Entweder man mag die Stimme, oder halt nicht. Grundsätzlich wird in den gemäßigteren Passagen mit hoher Kopfstimme gesungen, was Ähnlichkeiten zu New Wave-Bands der 80er Jahre wie Talk Talk oder A-Ha beinhaltet. In den emotionalen Ausbrüchen schimmert ab und mal auch ein Michael Sadler (Saga) oder hauchzart auch mal Freddie Mercury durch. Auf jedenfall eine Stimme, die außergewöhnlich ist und dadurch natürlich auch interessant. Vom typischen Prog-Einheitsgesang ist Solberg somit meilenweit entfernt.
Der Opener „Below“ wurde dann auch mal gleich als erste Single ausgekoppelt. Generell kann man das Album in zwei Hälften untereilen. Die erste Hälte ist die eingängigere, teils poppigere, die zweite die sperrigere, mitunter aber auch langatmigere. Hervorragend ist das Wechselbad der Gefühle, daß man bei einem Leprous Song durchlebt. „Below“ plätschert am Anfang so dahin und bricht urplötzlich in einem explosiven Refrain aus. Man ist gefesselt, ob der Schwankungen, die der Sänger und auch die Musiker quasi durchleiden. „I Lose Hope“ ist danach etwas spielerischer, auch waviger gehalten. Aber auch hier durchwandert die Band intensive Phasen, die den Hörer überraschen bzw. beleben.
Nach zwei weiteren Etappen des Leidenswegs des Sängers („Observe The Train“, „By My Throne“) , die ähnliche Drehungen und Wendungen beinhalten folgt der leider zu kurz geratene, hoch emotionale Höhepunkt des Albums, „Alleviate“. Der Song steigert sich von ruhigem Start immer mehr bis zum fantastischen Gänsehaut-Refrain, bei dem die Stimme des Sängers beinahe bricht vor Leidenschaft. Hier hätte man gut und gerne noch 2-3 Minuten hinzugeben können.
Leprous sind keine Gitarrenband auf „Pitfalls“. Tor Oddmund Suhre und Robin Ognedal begleiten mehr, denn das sie solieren. Härtetechnisch erreicht man allenfalls mal U2 Niveau („By My Throne“) ansonsten spielen die beiden eher in ruhigem Fahrwasser und helfen mehr im Rhythmusbereich die Spannungen mit aufzubauen bzw. zu erhalten. Gelingt gut und wird in der zweiten Albumhälfte auch ungleich wichtiger. Denn die Songs werden nun länger und dadurch entsteht eben auch die Gefahr von Längen. Ganz ausschließen können Leprous diese dann auch nicht bei „At The Bottom“ und „Distant Bells“, denen man durchaus mal auch den ein oder anderen Ausbruch oder ein amtliches Solo hätte spendieren können. Für die Weiterführung des Konzepts von „Pitfalls“ sind diese Songs jedoch wichtig und Einar Solberg verleiht auch hier seine eigene Duftmarke.
Prinzipiell steht der Sänger laut eigener Aussage nicht so auf Longtracks im Prog-Bereich, da er der Meinung ist, daß einige Passagen bei solchen Mammutsongs immer verzichtbar gewesen wären. Selbst bieten Leprous uns zum Ende mit „The Sky Is Red“ dennoch einen über 11-minütigen Song an. Letztendlich hin ist der Weg gefunden, die Leidenskrise überwunden, der Himmel wieder farbig. Leprous packen viele Stimmungen und Abwechslungen in diese Abschlußnummer, doch auch hier offenbart sich die ein oder andere Länge, die sich erst mit mehrmaligem Anhören behebt.
Grundsätzlich kann man sagen, daß „Pitfalls“ eine Ausnahmeerscheinung im Prog-Sektor darstellt. Gesang, musikalische Vielfalt, die Bereiche von New Wave, Synhtiepop und Prog/Artrock schneidet, und Emotionalität, die so authentisch rüberkommt, wie selten gehört, lassen aus dem Album ein interessantes, auf lange Sicht wohl auch wichtiges werden. Man muß sich in der Tiefe mit den Songs befassen, sonst versteht man manches vielleicht nicht. Dann aber berührt „Pitfalls“ den Hörer und nimmt ihn mit auf eine verzwickte, hochemotionale Reise mit einem Gastgeber, Einar Solberg, der zusammen mit der restlichen Band für ein Glanzlicht der ganz eigenen Art sorgt.
Kommentar schreiben