VÖ: 23.09.2022
Label: InsideOut Music
Autor: Kerbinator
Bewertung: 9 / 10
Sie begehen 2022 das 50-jährige Albumjubiläum (gegründet wurde die Band zwei Jahre vorher), die italiensiche Progrock-Legende Banco Del Mutuo Soccorso. 1972 kam das Debut „Darwin“ heraus und jetzt, fünfzig Jahre später liefern die Italiener mit „Orlando: Le Forme dell’Amore“ eines ihrer bisher ambitioniertesten Werke ab. Keyboarder und Bandgründer Vittorio Nocenzi ist einzig verbliebenes Ur-Mitglied, aber beispielsweise Gitarrist Filippo Marcheggiani ist auch schon seit 1994 dabei. Das neue Album besteht aus einem anspruchsvollen Konzept, welches fünfzehn Songs lang von Vittorio zusammen mit seinem Sohn Michelangelo und Texter Paolo Lugli ausgearbeitet wurde und eine Poesie aus dem 16. Jahrhundert behandelt. Alles wurde in der Muttersprache, also Italienisch, eingesungen. Eine englische Übersetzung soll es zumindest im Booklet anhängend geben.
Die Reise beginnt mit flötenartigen Klängen und Piano bei „Proemio“. Akustik Gitarre und entspannter Gesang von Tony D’Alessio zaubern Melodien in diese 2-minütige Einleitung. In Folge zeigen Banco Del Mutuo Soccorso die ganze Bandbreite ihres progressiven Schaffens. Da wird’s erst mal jazzig mit folkloristischem Gesang („La Pianura Rossa“). Erzählerische Passagen mit Piano begleitet erinnern daran, daß wir es hier mit einer Konzeptgeschichte zu tun haben. Bläser und Gitarren/Keyboard Duelle leiten spielerisch weiter. Mellotron und elegische Gitarrenklänge unterlegen „Serve Orlando Adesso“ und im 4/4 Takt mit Akkordeon-Einlagen legt „Non Mi Spaventa Piu L’amore“ theatralischen Gesang und zerfahrene Orgel-/Gitarrenpassagen zugrunde.
Höchste Konzentration ist also gefordert, damit man die ganzen Wendungen und Ideen, sowie musikalischen Umsetzungen intensiv erlebt. Daß man nicht mehr im Jahr 1972 lebt zeigen beispielsweise kurze Computersamples bei „Non Serve Tremare“. Fröhlichkeit und Theatralik im Solo-u. Chorgesang lässt „Le Anime Deserte Del Mondo“ inklusive Keyboardsolo zu einem Seelenschmeichler werden.
Man könnte jetzt jeden Song einzeln beschreiben, so viel passiert auf dem Album. Gezwitscher und Flüstern, Wellen und eine Hawaii-Gitarre, sowie Xylophon und Sprechgesang lassen mit „L’Isola Felice" von einer fernen Insel träumen. Witzige Klänge, jazzige Momente und wirbelnde Gitarren und Keys gibt es bei „Il Paladino“ zu erleben. Egal ob hoher Frauengesang und Posaune („L’Amore Accade“), Saxophon-Solo und melancholischer Gesang bei „Non Credere Alla Luna“ oder Moll-Piano und wummernde Keyboards bei der „Moon Suite“…es passiert immer irgendwas Neues bei Banco Del Mutuo Soccorso. Letzterer ist mit über 11 Minuten gar ein wahrer Longtrack geworden, der nochmal eine Schippe Diversität und Komplexität in puncto verklärten Momenten und fremd-anmutenden Parts drauflegt. Manches erinnert hier sogar an die Briten Yes.
Eher ruhig und entspannender klingt das Album dann mit „Come E Successo Che Sei Qui“ und „Cosa Vuol Dire Per Sempre“ aus. Sphärische Keyboards, schöne Gitarrenmelodien, Piano und wiederum theatralischer Gesang führen zum Ende, das mit einem wunderbaren Gitarren-/Keyboardsolo vollzogen wird.
Wahnsinn, wo Vittorio Nocenzi nach so vielen Jahren noch die Motivation her nimmt, ein solches Konzept in überragender Weise umzusetzen. Das ist anspruchsvollste Musik mit so vielen verschiedenen Nuancen, das man fast nicht hinterher kommt beim Hören. Aber, das ist im positiven Sinne gemeint, denn „Orlando: Le Forme dell’Amore“ ist keinesfalls zu sperrig oder anstrengend, sondern kann in einem Zug wunderbar genossen werden. Pünktlich zum Jubiläum also lassen Banco Del Mutuo Soccorso ein wahres Meisterwerk vom Stapel. Alle Achtung, das ist italienische Progkunst vom Feinsten.
Kommentar schreiben