Location: Coloss Saal, Aschaffenburg
am: 09.04.2022
Die T-Shirts der norwegischen Progger Gazpacho am Merchstand ziehen eindeutig Bilanz. Zwei lange Jahre musste man aus bekannten Pandemiegründen warten, um diese Tour zu begehen. Die Jahre 2020/2021 durchgestrichen und die Daten des Jahres 2022 aufgeführt….Zeitzeugen aktueller Geschehnisse. Nun aber war es soweit. Der Colos-Saal in Aschaffenburg, der die schwierige Zeit mit Implementierung von Streamingangeboten und dezent frischer Dekoration genutzt hat, war bereit für die Double-Headliner Tour eben dieser Gazpacho, zusammen mit den britischen New-Art-Rockern Pure Reason Revolution.
Letztere hatten im Vorfeld allerdings mit einem Problem zu kämpfen. Chloe Alper, die zusammen mit Jon Courtney die Seele von Pure Reason Revolution bedeutet, konnte aufgrund erheblicher Terminschwierigkeiten diese Tour nicht in Anspruch nehmen. Eine Absage kam aber nicht in Frage und so wurde mit Annicke Shireen, unter anderem Sängerin der Band Heilung, ein hochwertiger Ersatz gefunden, der wunderbar mit dem Bandgefüge harmonierte, wie sich im Verlauf des Auftritts feststellen ließ.
Auch wieder mit dabei ist mittlerweile Gitarrist Greg Jong, der aufgrund des Verzichts auf einen echten Bassisten, noch mehr Gewicht im LineUp erhält. Pure Reason Revolution begannen ihren Auftritt mit dem fantastischen „Silent Genesis“ vom letzten „Eupnea“-Album. Sofort nahm der Mix aus hypnotisch sphärischen Klängen und harschen Gitarrenausbrüchen gefangen. Neben Jon Courtney, der mit seiner hohen Stimme glasklar intonierte, wusste ebenso Annicke mit zauberhafter Gesangsstimme zu überzeugen. Ihre überaus anmutige, aber auch intensive Ausstrahlung am Keyboard machte das Fehlen von Cloe Alper absolut wett. Mit „Phantoms“ gab es danach einen neuen Song aus dem kommenden Album „Above Cirrus“ zu hören, bevor es in der Songauswahl zurück in die Anfangszeiten der Band ging, also der Zeit vor der über 10-jährigen Abstinzenz von PRR.
Mit farbenfrohen, aber auch melancholisch bedrückenden Videoeinspielungen auf der bühnengroßen Backdrop-Leinwand setzten Songs wie „Arrival/The Intention Craft“, „Ghosts & Typhoons“ oder das abschließende „Deus Ex Machina“ Glanzpunkte modernen Artrocks mit hoher Strahlkraft und wunderbar sympathischen Musikern. Annicke, John und Greg konnte man das Lächeln, das Strahlen im Gesicht ob der tollen Publikumsreaktionen der ca. 250 Zuschauer nicht mehr nehmen, auch wenn Jon sich immer wieder konzentriert kniend um das Programming kümmern musste. Klar, das bei dieser Art von Sound einiges aus der Konserve kommen muss, da die Atmosphäre der Songs sonst nicht auf die Bühnen zu transportieren wäre.
Für eine Zugabe ließen sich die Briten nicht lange bitten (30 Sekunden, oder so ?) und kehrten nochmals mit „Avo“ zurück, um einen rundum gelungenen Auftritt zu beschließen.
Daß Aschaffenburg (und somit in erster Linie der Colos-Saal) so etwas wie die heimliche Prog-Hauptstadt Deutschlands ist, konnte man nicht zuletzt durch die vielen Supporter, welche Gazpacho hierher gebracht haben, erkennen. Und sie dankten es dem Publikum mit einem ebenfalls denkwürdigen Konzert. Anders als bei Pure Reason Revolution geht es bei Gazpacho, die sich ja nach einem Marillion-Song benannt haben, ruhiger und beschaulicher, aber nicht minder emotionaler zu. Zwar hatte die Band mit „Fireworking at St. Croix“ kürzlich ein Streaming-Album/Video herausgebracht, ohne Publikum natürlich. Das hier ist dann doch gleich eine andere Hausnummer, wenn sich die Emotionen auf die Zuschauer übertragen.
Die Setlist der Norweger war dann auch gänzlich eine ganz andere als bei „Fireworking…“ und lieferte ein Potpourri durch die gesamte Albumhistory der Band. Sänger Jan Henrik Ohme steht natürlich im Mittelpunkt des Geschehens. Trotz seines tollen, warmen Gesangs könnte der gute aber ab und an mehr aus sich rausgehen, als nur durch ewig wiederholte Fingerspielereien aufzufallen. Aber, die Musik von Gazpacho lebt selbstverständlich auch durch seinen Gesang in erster Linie und der ist, wie gesagt, vom Feinsten. Mikael Kromer, neben Jon-Arne Vilbo zweiter Gitarrist der Band, sorgte mit seiner Violine in einigen Songs für melancholische Zwischentöne. Nicht furios, sondern elegisch wurde er im Verlauf zum Blickfang des Konzerts, da emotional hochwertig.
Der an Highlights nicht arme Auftritt wurde für Gazpacho nach kurzer Anlaufzeit („Fireworker“) zum Heimspiel und sie dankten es mit progressiven Großtaten wie „I’ve Been Walking (Part 2)“, „Clockwork“, „Hell Freezes Over I“ oder „Sapien“. Das Zusammenspiel des Sextetts ist über jeden Zweifel erhaben und die erzeugten Klangwelten, die natürlich auch einiges von (Neo)Prog Bands wie Marillion haben, wurden ebenfalls via Leinwand in visueller Stimmung begleitet. Allerdings wurden hier die stimmungsvollen Bilder irgendwie meiner Meinung nach zu hektisch aneinander gereiht, so daß sich das Gesehene nicht richtig entfalten konnte. Ausnahme hierbei die Zahnräder-Projektion bei „Tick Tock Part. 3“, die für konstante Stimmung sorgte.
Auch Gazpacho wurden freilich zur Zugabe „gezwungen“. Hier gab es neben dem schönen „Vera“ noch den absoluten Gänsehautmoment des Abends, „Winter Is Never“ zu hören. Besser, emotionaler kann man einen Konzertabend nicht beschließen. Ganz große Gefühlswelt. Ach ja, zu den Zugaben wurde das ortsansässige, mehrfach prämierte Bier gereicht. Wie wir erfuhren, ist Jan Henrik Ohme anscheinend ein großer Fan dieser Brauerei. Auch hier bewies man also besten Geschmack.
Pure Reason Revolution und Gazpacho boten an diesem Abend Shows der besonderen Art, voller musikalischer Wertigkeit und Emotionen, voller Hingabe und honoriert von begeisterten Publikumsreaktionen. Beide Auftritte waren eines Headliners würdig, die jeweils 1 ½ stündigen Sets ließen keinen Unterschied in Sound und Qualität erkennen. Eine Double-Headliner-Show, wie es sein muß.
Danke an beide Bands für einen tollen Abend nach dieser so langen Abstinzenz und an den Colos-Saal, der es nach wie vor ermöglicht, solch interessante Konzerte zu erleben.
Aus Aschaffenburg berichteten: Kerbinator und Volker Riepl
Fotos: Rock Castle Franken
Progger (Freitag, 15 April 2022 08:57)
Zwei fantastische Progbands., sehr publikumsnah.