Interview mit

Photocredit: Andre Stephan



Rock Castle:   Euer achtes Album „Eraser“ ist das zweite Konzeptalbum nacheinander. Und ein grandioses dazu, Kompliment. Seid Ihr jetzt auf den Geschmack gekommen, zusammenhängende Konzepte zu entwickeln, oder hat sich das einfach erneut so ergeben ?

 

LDC:  Erst einmal vielen Dank für die Blumen! Die Arbeit am letzten Album und dessen Konzept hat bereits sehr viel Spaß gemacht und diesmal hat es sich auch wieder angeboten. In gewissem Maße hängen die beiden Alben irgendwie zusammen. Auch wenn sie sehr unterschiedlich klingen, sind sie quasi „Brüder im Geiste“. D.h. jetzt nicht, dass wir in Zukunft immer nur noch Konzept Alben machen, aber es macht sehr viel Spaß und ist spannend. Wir werden sehen 

  

Rock Castle:  Das Konzept über aussterbende Lebewesen ist ein sehr ernstes Thema. Dementsprechend klingt das neue Album in meinen Ohren auch rauher bzw. härter als der Vorgänger. Entwickelt ihr die Musik hierzu gemeinsam oder legt jemand von Euch die Richtung grundsätzlich fest?

 

LDC: Das ist natürlich dem Thema des Albums geschuldet, wie du richtig festgestellt hast. Bei diesem Thema war es sehr schnell klar, dass es kein besonders fröhliches Album wird. Uns war aber eine große Bandbreite und Dynamik sehr wichtig, da die Tiere ja auch sehr unterschiedlich sind. Damit wir eine gewisse Richtung vorgegeben, an der wir dann gemeinsam arbeiten. Jedes der Tiere hat einen anderen Lebensraum, sieht anders aus, bewegt sich anders etc., demzufolge sind die Songs natürlich auch sehr unterschiedlich.

 

Rock Castle: Den längsten Track des Albums habt ihr mit „Blood Honey“ der Biene gewidmet. Zufall oder habt ihr bewußt eine solche Länge für dieses wichtige Insekt gewählt, welches so wichtig ist für die Pflanzenwelt und somit auch für den Menschen ?

 

LDC: Nein, das hat sich eigentlich zufällig so ergeben. Wir planen im Vorfeld nicht, wie lang ein Song wird, das passiert einfach. Im Endeffekt passt es natürlich sehr gut, deine Analyse trifft den Nagel auf den Kopf. Die Biene steht vielleicht am meisten als Symbol für die Problematik.

Rock Castle:  Am Ende des Albums steht dann der Mensch, der Eraser, der Auslöscher. Also der Hauptschuldige an der Misere des Aussterbens vieler Lebewesen. Wurde der Mensch bewußt in die Liste aussterbender Arten mit aufgenommen, immerhin tut er ja alles, um sich selbst zu vernichten ? Oder erhebt Ihr hier lediglich den anklagenden Finger dem Menschen gegenüber ?

 

LDC: Uns ist wichtig zu betonen, dass wir eben nicht mit dem Zeigefinger auf andere zeigen wollen, da wir selbst ja auch Teil des Problems sind. Wir fahren als Band mit einem Bus durch die Gegend, verbrauchen Strom und Ressourcen etc. Uns ist einfach wichtig mit dem Album Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und den ein oder anderen zum Nachdenken zu bewegen, was man selbst in seinem Leben verändern kann, um dem Problem gerecht zu werden. Der Mensch ist Täter und „Opfer“ zugleich, da wir uns ja selbst den Boden unter den Füßen wegreißen. Er ist aber auch die einzige Spezies, die in der Lage ist, etwas zum Positiven zu verändern und damit sind wir in der Verantwortung. Wir sitzen alle im selben Boot.

 

Rock Castle:  Für „How Do We Want To Live ?” konntet ihr aus Pandemiegründen ja nicht ausgiebig touren. Versucht ihr das nun auszugleichen, indem ihr mehr Auftritte plant wie früher, oder lässt sich das organisatorisch nicht umsetzen ?

 

LDC:  Wir werden natürlich versuchen, mit dem neuen Album so viel zu spielen wie es irgendwie geht, leider liegt das aber nicht in unseren Händen. Dieses Album muss gehört werden und wir werden alles dafür tun.

 

Rock Castle:  Beim Song „Sloth“ habt ihr Jörgen Munkeby einen Gastmusiker hinzugeholt, der mit seinem Saxophon neue Farbtupfer im Sound von Long Distance Calling bedeutet. Wie seid ihr auf ihn gekommen und kann man zukünftig gar mit erweiterten Blasinstrumenten rechnen?

 

LDC:  So etwas planen wir nicht, wir werden sehen was passiert. Neben dem Saxophon gibt es auf dem Album ja auch noch weitere Streichinstrumente. Das Saxophon ist ein neuer Sound in unserem Kosmos, wir lieben es mit Neuem zu experimentieren und sowas gab es bei uns bisher nicht. Als uns klar war, dass der Song quasi nach diesem speziellen Sound schreit, haben wir sehr schnell an Jørgen gedacht, das war nicht schwer :) er hat einen fantastischen Job abgeliefert, wenn man genau hin hört, kann man ihn beim Spielen sogar atmen hören. Dadurch ist es wahnsinnig authentisch und emotional.

 

Rock Castle: Das mir vorliegende Booklet des Albums ist sehr düster gehalten, aber auch recht aufwendig gestaltet. Zu jedem interpretierten Lebewesen gibt es Hintergrundinformationen. Es besteht also die Möglichkeit für den Hörer, in die Sonsgs einzutauchen und gleichzeitig diese Informationen zu verarbeiten. Ein wichtiger Baustein des Albums, wie ich finde. Wie seid Ihr auf diese Idee gekommen und wie habt ihr die einzelnen Themen recherchiert ?

 

LDC: Wir haben uns mit Greenpeace ausgetauscht und zusammen mit Max Löffler, der für das Artworks verantwortlich ist, das visuelle Konzept erarbeitet. Es war uns sehr wichtig, dass alles was mit dem Album zusammen hängt ganzheitlich ist, und da gehört der optische Aspekt natürlich dazu. Wer sich für das Thema interessiert findet also Informationen, das war uns wichtig. Auch Max hat wie immer einen super Job gemacht, alles ist sehr liebevoll gestaltet.

 

Rock Castle:  Das Albumartwork zeigt eine Hand, Knochen und einen Dreiecks-Würfel. Was genau hat es mit dieser Konstellation auf sich?

 

LDC: Auf Tasmanien wird von Wissenschaftlern eine „Black Box“ errichtet, die alle möglichen Daten der Menschheit sammelt, Social Media Daten, Wetter- und Klimadaten, etc. Wenn wir alles an die Wand gefahren haben, kann man das dort dann gut dokumentiert nachzeichnen. Der Würfel in der Hand steht für diese Blackbox, gleichzeitig steht es aber auch dafür, dass wir die Sache sprichwörtlich noch „in der Hand haben“, auch wenn es eigentlich bereits 5 nach 12 ist. Die Knochen stehen natürlich für die aussterbenden Tierarten. So hat das Cover mehrere Ebenen. 

 

Rock Castle: Ihr hattet ja mal für kurze Zeit mit Martin Fischer auch einen Sänger in den Reihen. Ist das Thema mit Gesang in Euren Songs durch, oder haltet Ihr Euch das für die Zukunft offen. Beispielsweise mit Gastgesang zu arbeiten ?

 

LDC: Wir halten uns immer alles offen, warum sollten wir uns selbst limitieren? Aktuell und speziell bei dem Thema fühlen wir uns komplett instrumental sehr wohl, aber wer weiß was die Zukunft bringt? Sag niemals nie. Auf diesem Album haben wir bewusst darauf verzichtet, da es beim Vorgänger ja sehr viele Sprachsamples gab. Auf „Eraser“ wollten wir den Tieren eine rein musikalische Stimme verleihen.

 

 

 

Photocredit: Martin Großmann

Rock Castle: Wenn Ihr auf die Zeit von „Satellite Bay“ bis heute blickt, wo sind die größten Unterschiede bezüglich der Band von damals zu heute. Oder gibt es diese großartig für Euch gar nicht?

 

LDC: Einige Sachen ändern sich nie, andere auf jeden Fall. Natürlich ist das ganze Drumherum mittlerweile sehr viel mehr geworden und damit auch sehr viel mehr Arbeit. Und natürlich haben wir uns musikalisch und kompositorisch weiter entwickelt, außerdem entwickelt man sich ja auch als Personen weiter. Die meisten von uns haben mittlerweile Kinder, das ändert natürlich auch einiges. Man muss manche Dinge besser organisieren als zu Zeiten des Debütalbums. 

 

Rock Castle:  Elektronische Sounds wie Keyboards und Programming wurden bei „Eraser“ merklich zurückgefahren und mehr gitarrenlastig komponiert. Inwiefern kommt es da live nun zugute, daß Ihr zwei Gitarristen in den Reihen habt, denn die Intensität der Songs ist ja erheblich ?

 

LDC:  Das ist natürlich ein sehr großer Vorteil, ich denke wir werden die Songs sehr nah am Album auf die Bühne bringen, da achten wir aber auch beim Schreiben der Songs schon drauf, dass ich die Songs so gut wie möglich auch live umsetzen lassen. Das spielt für uns eine große Rolle. Letztendlich geht es um Energie und Emotionen und diesmal ist es seht direkt, ehrlich und emotional.

 

Rock Castle:  Einzelkonzerte in Hallen/Clubs sind sicherlich anders zu bewerten, als Festivals bei denen das Publikum ja nicht ausschließlich wegen Euch vor Ort ist. Geht Ich da anders an die Begebenheiten heran, was Songauswahl und beispielweise Visualität angeht ?

 

LDC: Wenn wir Festivals spielen, achten wir natürlich darauf was für ein Festival das ist. Beim Wacken spielen wir schon eine andere Setlist als auf einem reinen Postrockfestival. Ansonsten machen wir da generell eigentlich keinen Unterschied, außer dass Festival Shows natürlich in der Regel kürzer sind als eine Headline Show. Das Spannende an Festivals ist natürlich, dass uns nicht alle Leute kennen und es immer wieder eine Herausforderung ist, neue Leute auf unsere Seite zu ziehen und von der Band zu begeistern.

 

Rock Castle: Bei der ursprünglichen Promo zu „Eraser“ wurde ein kleines Tütchen mit Blumensamen beigelegt. War das Eure Idee und wo sollte jeder diese Blumen pflanzen ? Oder ist es egal, Hauptsache es wird gepflanzt? Hier bekommen wir auch wieder den Bezug zur Biene…

 

LDC: Wir fanden das einfach eine coole Idee, wie wir zusammen mit unserer Plattenfirma entwickelt haben. Jeder soll sich selbst überlegen, wo er die Blumen pflanzen möchte, man kann damit auf jeden Fall den Lebensraum der Bienen erweitern und damit etwas Gutes tun. Es gibt so viele Stellen an denen Wildblumen verschwunden sind, da können die Leute gern kreativ werden 

 

Rock Castle:  Der Schwerpunkt Eures Schaffens lag die letzten beiden Jahre logischerweise auf dem neuen Album. Ein Konzept engt aber natürlich im Bezug auf Songwriting etwas ein. Habt Ihr denn nebenher noch andere Ideen für Songs entwickelt bzw. vielleicht sogar schon fertig in der Schubladen liegen, die dem Konzept nicht dienlich gewesen wären und eventuell für spätere Veröffentlichungen in Frage kommen?

 

LDC: Zunächst einmal stimmt das so nicht so ganz. Wir haben ja 2021 noch die Ghost EP veröffentlicht und erst im Frühjahr des Jahres die Arbeiten an „Eraser“ begonnen, die dann ein gutes Jahr gedauert haben. Wenn wir ein Album machen, konzentrieren wir uns aber immer ausschließlich auf dieses Projekt ohne andere Nebenbaustellen, sonst fehlt einfach der Fokus und Details leiden darunter. Deshalb: Nein, die Schublade ist leer und wir fangen immer wieder mit dem berühmten weißen Blatt Papier an.

 

Rock Castle: Was können wir, kann der Mensch in Euren Augen tun, um das Aussterben verschiedenster Lebewesen zu verhindern ? Oder ist die „Messe“ eh schon gesungen, und eben nur eine Momentaufnahme, da der rollende Stein nicht mehr zu stoppen ist ? 

 

LDC: Es ist bereits ein sehr großer Schaden entstanden, wir können sicherlich nicht mehr die Uhr zurückdrehen. Es geht um Schadensbegrenzung und darum, was man in Zukunft einfach besser machen kann. Jeder kann seinen Alltag durchleuchten und schauen, was man selbst verändern kann, um die Welt ein kleines Stück besser zu machen. Uns ist aber wichtig zu betonen, dass wir als Band natürlich selbst auch Teil des Problems sind. Wir müssen endlich lernen dass unser Handeln Konsequenzen hat, und dass wir vor allem selbst Teil der Natur sind und uns letztendlich mit unserem Verhalten selbst schaden. Wir müssen lernen Verantwortung zu übernehmen. 

 

Rock Castle: Wenn ich mich nicht täusche gab es bisher keinerlei Veränderung im LineUp von Long Distance Calling. Von der Sangesdarbietung mal abgesehen. Was ist das Geheimnis der Band für diese ja eher ungewöhnliche Konstanz ?

 

LDC: Das ist so nicht ganz richtig, bis 2012 hatten wir noch ein Mitglied für elektronische Sounds ins der Band aber wir vier sind der harte Kern und kennen uns mittlerweile einfach sehr gut und kennen die Stärken und Schwächen der anderen. Wir haben eine spezielle Chemie in der Band, das findet man nicht an jeder Ecke und auch wann man sich natürlich nicht immer bei allem einig ist, verfolgen wir das gleiche Ziel.

 

Rock Castle: Jetzt wird ja erst einmal getourt. Was dürfen wir in näherer Zukunft von Long Distance Calling Spannendes erwarten ?

 

LDC: Wie du schon sagst werden wir versuchen mit diesem Album so viel wie möglich zu spielen, sofern das in unserer Hand liegt aufgrund der aktuellen Situation. Darauf wollen wir uns erst mal konzentrieren, bevor wir mit etwas Neuem beginnen. Dieses Album verdient es gehört zu werden, auch auf den Bühnen dieser Welt. Aktuell sind wir aber noch mit Interviews und Organisation rund um die Veröffentlichung beschäftigt, das wird uns noch ein wenig auf Trab halten. Wir möchten uns auf jeden Fall bei allen für das großartige Feedback bisher bedanken, das wissen wir sehr zu schätzen!

 

  

 

Interview:  Kerbinator (Rock Castle Franken) 


Video:



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Kommentare: 1
  • #1

    Maya (Mittwoch, 07 September 2022 08:14)

    Es ist noch nicht zu spät. Lasst uns Blühwiesen sähen �

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